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Manchmal werden Träume wahr

Wie ein zwanzig Jahre alter Traum über drei Kontinente reiste

Der von mir hoch verehrte Schriftstelle Joachim Walter schrieb einmal:

"Gedanken entstehen nicht im Kopf, sondern im Bauch.
Steigen sie nach oben, werden sie eine Idee.
Sinken sie nach unten, werden sie ein Pup."

Die meisten meiner Gedanken sind wohl im Laufe der Jahre nach unten gesunken. Aber hier ist ein Gedanke, der erst eine Idee und dann Realität wurde. Und um ihn zurückzuverfolgen, müssen wir uns auf eine zwanzig Jahre lange Reise über drei Kontinente begeben.

1990 war ich in Ghana Gast auf einem Schiff, das von der deutschen Caritas betrieben wurde. Das Schiff hatte vier Operationssäle an Bord und war auf einer vierjährigen Reise rund um Afrika. Die Ärzte an Bord waren auf die Behandlung von Grauem Star spezialisiert. Diese Trübung der Augenlinse ist in Afrika eine Volksseuche. Die Behandlung (Transplantation einer künstlichen Linse) ist einfach und wird in der westlichen Welt jedes Jahr Millionen Male vorgenommen. Für die meisten Afrikaner jedoch ist sie unerschwinglich.

Die Seeleute und Ärzte an Bord waren Freiwillige, die für Kost, Logis und ein Taschengeld arbeiteten (der Kapitän zum Beispiel erhielt 400 DM im Monat). Mit meiner Firma ging es damals bergab, und so dachte ich mir, hier wäre eine gute Möglichkeit, weiter zur See zu fahren. Der Kapitän gab mir seine Visitenkarte und ich behielt sie - für den Fall der Fälle.

Drei Jahre später verbrachte ich einige Zeit in Nicaragua. Unter anderem lernte ich dort Willi, einen deutschen Entwicklungshelfer kennen, der auf einer Konferenz in Nicaragua war und nun zwei Wochen als Tourist im Land verbrachte, ehe er in seine Wahlheimat, ein Amazonas-Indianerdorf in Peru zurückkehrte. Wir verbrachten ein paar Tage gemeinsam und unterhielten uns in dieser Zeit über Gott und die Welt. Unter anderem kam das Caritas-Schiff zur Sprache und Willi sagte spontan: "So was brauchen wir auf dem Amazonas!" Ich gab ihm ebenso spontan meine wohlgehütete Visitenkarte und sagte: "Hier, ruf da mal an. Vielleicht können die ja was tun."

Willi kehrte zurück nach Peru, ich trampte nach Guatemala und blieb ein Jahr später endgültig in Kalifornien hängen. In den letzten 17 Jahren habe ich selten an Willi und noch seltener an das Caritas-Schiff gedacht.
Gestern (im Oktober 2011) musste ich meinen Arzt aufsuchen, da ich mir irgendwo einen hartnäckigen Virus eingefangen hatte. Als wir uns über mögliche Ansteckungsherde unterhielten, kam die Sprache auf die Indianischen Schwitzhaus-Zeremonien, an denen ich mehr oder weniger regelmäßig teilnehme.

Mein Arzt sagte: "Ach, Indianer!", und erzählte mir, dass er in den 90er Jahren für ein christliches Hilfswerk in Indianerdörfern in Ecuador und Peru tätig war. Da fiel mir Willi wieder ein; und nachdem ich meinem Arzt von meinem peruanischen Bekannten erzählte, kam die Rede irgendwie auch auf das schwimmende Krankenhaus, das Willi und ich uns in einer regnerischen Tropennacht in Nicaragua erträumt hatten.

Da sagte mein Arzt plötzlich: "Wann war das? 1993? Du wirst es nicht glauben, aber das Schiff gibt es! 1995 kauften eine schottische und eine deutsche Hilfsorganisation zwei Schlepper, die mit einer Barge verbunden wurden, auf der sich mehrere Behandlungsräume befanden. Ich war einer der ersten Ärzte auf diesem Boot."

Vielleicht (ganz bestimmt sogar) hatten die Hilfsorganisationen die Idee schon lange, ehe Willi und ich unseren afrikanisch-nicaraguanisch-peruanischen Traum hatten, aber es ist eine schöne Vorstellung, dass aus einer Idee manchmal mehr als nur ein Pup werden kann.

Bildquelle:
Da ich persönlich leider nur die Amazonas-Mündung, nicht aber das Landesinnere kenne, habe ich mir die beiden Fotos von South American Postcard geborgt.


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